Elke Rehder – Statements aus den Bereichen Kunst und Kultur zum Ausstellungsprojekt Kulturgesellschaft Europa
Kulturgesellschaft Europa. Katalog zum internationalen Ausstellungprojekt von Elke Rehder mit Statements von Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Politik in Europa, vor allem aus Deutschland. 44 Seiten, 17 Abbildungen. Struck-Druck, Hamburg 1992. ISBN 3-922664-04-0.
Wenn wir von Europa reden, meinen wir das "Projekt Europa", das Ideal
eines Weltteils freundschaftlichen Miteinanders unabhängiger und
gleichberechtigter Nationen. Ein neues "Europäisches Bewusstsein"
definiert sich als das Gefühl der Einheit in der Unterschiedlichkeit,
das Gefühl des Respekts vor den diversen kulturellen Traditionssträngen,
die sich in gemeinsamem Kulturraum einen, die Achtung der gemeinsamen
politischen Geschichte und das gemeinsame Bestreben nach Freiheit der
einzelnen Partnerländer, der Sprach- und Kulturgruppen und des
Individuums.
Dr. Christina Weiss, Kultursenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg
Wir müssen begreifen, dass die Suche nach kultureller Identität nicht
Abgrenzung gegen andere, sondern Erinnerung an kulturelle Wurzeln und
Besinnung auf menschliche Werte bedeutet; dass die Wahrnehmung der
anderen die Toleranz des andersartigen nach sich ziehen muss. Das
kulturelle Europa ist die Chance, kalten Kommerzialismus zu überwinden.
Prof. Dr. Peter Bendixen, Hochschule für Wirtschaft und Politik,
Hamburg
Nur ein dauerhafter kultureller Austausch zwischen Völkern kann zu
gegenseitigem Verständnis von Gefühlen und geistiger Haltung führen.
Helmut Riemenschneider, EDITION PASSAGEN, Mannheim
Die Stärke Europas ist die gewachsene kulturelle Vielfalt. Sie ist der
kreative Humus, den wir anderen Kontinenten voraus haben. Sie wird
Europa befähigen, auch im 21. Jahrhundert eine entscheidende Rolle zu
spielen. Allen Vereinheitlichungsbestrebungen auch auf diesem Gebiet zum
Trotz: man muss die kulturelle Vielfalt unbedingt erhalten und fördern.
Dr. Christa Maar, Chefredaktion PAN, München
Europa kommt. Landauf und landab herrscht Hochstimmung. Doch sämtliche
Vereinigungsgedanken, von 1993 an Wirklichkeit, haben heute, Anfang
1992, wenige Monate vor dem Fall der Grenzen, noch derart viele
Schwachstellen, dass ich mir nicht vorstellen mag, wie groß das
Verwaltungschaos ausfallen wird. Wir brauchen hier gar nicht über die
bislang immer noch fehlende EG-Sprache zu räsonieren oder andere
überfällige Entscheidungen allgemeiner Art einzuklagen. Wir können
durchaus auf dem Terrain unserer Branche bleiben - und finden genug
Zündstoff, um den Eurokraten endlich Dampf zu machen.
Karlheinz Schmid, Kunstkritiker, Hamburg
Für die Künstler ist die gemeinsame Sprache der Kunst eine
selbstverständliche Tatsache. Die Künstler sind traditionsgemäß, von
ihrem Denken und von ihrem Handeln her bestimmt, die Vorreiter eines
neuen Europas.
Dr. Jean-Christophe Ammann, Leiter des Museums für Moderne Kunst,
Frankfurt / M.
Ein Europa in Frieden und Freiheit ist der Garant für die Erhaltung
vielfältiger Kulturen in Europa; Bestrebungen nach Monokultur in Europa
gefährden Frieden und Freiheit in der Welt.
Bence Fritzsche, Chefredakteur der Zeitschrift Atelier", Köln
Bei den vielfältigen Herausforderungen, die zweifellos mit dem
Zusammenwachsen eines neuen Europa verbunden sind, kann gerade die
Kultur Hilfen und Perspektiven bieten, die es ermöglichen, eine eigene,
unverwechselbare, kulturelle Identität zu entwickeln, die die
Erfahrungen anderer Lebenswelten nicht ausgrenzt, sondern bewusst
einbezieht.
Wenn es so etwas geben soll wie eine kreative europäische Gemeinschaft,
kann es nur mit der Kultur gehen - ohne Kultur ist die Utopie Europa
tot.
Barbara Kisseler, Kulturamtsleiterin der Stadt Düsseldorf
Das gemeinsame Europa wird gelingen, wenn die Nationalstaaten immer
unwichtiger und die neuen Kulturregionen immer wichtiger werden.
Siegfried Hummel, Kulturreferent der Landeshauptstadt München
Je mehr - begrüßenswerterweise - die politischen und wirtschaftlichen
Strukturen in Europa zusammenwachsen, Medienstrukturen und -kulturen
sich austauschen und vernetzen, desto mehr beschäftigen sich die
Europäer auch mit ihrer jeweiligen kulturellen Identität. Politisch
kommt dies in Osteuropa in einer Sehnsucht nach nationaler
Unabhängigkeit zum Ausdruck, leider (wie in Jugoslawien) auch von
blutigen Konflikten begleitet, in Westeuropa in der Besinnung auf
regionale Kulturtraditionen, auch in grenzüberschreitenden "Euregios".
Es gibt nicht den "Europäer" schlechthin (genauso wenig wie es den Typus
des "Amerikaners" gibt). Wir sind immer zugleich auch Bretonen,
Sizilianer, Wallonen, Rheinländer und Walliser. Die EG-Bürokratie neigt
zur Standardisierung und Normierung von Vorschriften usw., das
alltägliche Leben und Zusammenleben jedoch besteht aus einer höchst
lebendigen und innovativen Multi-Kulturalität.
Jürgen Raap, Kunstkritiker, Köln
Europa zeichnet sich aus durch große kulturelle Vielfalt, die es zu
bewahren gilt. Genau so wichtig aber ist es, sich gegenseitig so gut
kennen und in dieser Vielfalt verstehen zu lernen, dass Toleranz und
gegenseitige Akzeptanz wachsen und der Nationalismus keine Chance mehr
hat.
Prof. Dr. Gerhard Kaufmann, Direktor des Altonaer Museums, Hamburg
Die Fremdheit, nicht die viel beschriebene Nähe kultureller Traditionen
in Europa ist der Anstoß zum Lernen, zur Grenzüberschreitung, zur
Interkulturalität. Humane und zivile Gesellschaften entstehen nicht
durch vorgespiegelten Gemeinschaftssinn, sondern durch Verständnis und
Akzeptanz der wirklichen Unterschiede.
Prof. Dr. Dr. Peter Alheit, Kultursoziologe, Bremen
Ohne seine kulturellen Energien hätte Europa nach dem deutschen
faschistischen Terror sein Selbstbewusstsein nicht wiedererlangt, nicht
den Frieden in der Nachkriegszeit gesichert und schließlich nicht die
Mauern zerbrochen und in einer friedvollen Revolution Zukunft gewinnen
können. Ohne künstlerisches Schaffen gibt es kein menschenwürdiges
Europa.
Dr. Olaf Schwencke, Präsident der Hochschule der Künste Berlin
Übersendung einer Collage / ... mit europäischen Grüßen
Prof. Kasper König, Städelschule Frankfurt / M.
Nachdem der Phönix "Deutsche Einheit" aus der Asche der Geschichte als
gerupfte Gans emporstieg, bleibt zu fragen, ob sich der Papiertiger
"Europa" wirklich zu einem lebensfähigen Organismus mausern kann.
Dr. Christa Schulze, Kunsthistorikerin
Ein Traum wird wahr. Das vereinte Europa und die Öffnung der Grenze
nach Osten eröffnen Kunst und Künstlern neue Perspektiven.
Dr. Johann Georg Prinz von Hohenzollern, Generaldirektor der
Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
Europa ist eine Aufgabe, die noch zu leisten ist. Am Ende eines
Jahrhunderts der Irrwege, der Bruderkriege und Verwüstungen zeichnet
sich endlich - wenn auch noch zaghaft - ein neuer, offener Kontinent ab,
dessen Völker und Kulturen im friedlichen Austausch koexistieren und
kooperieren können. Das ist ihre Bestimmung. Europäer ist, wer diesen
Prozess fördert und mit der Vielfalt leben will, die Europas Reichtum
ist.
Dr. Michael Haerdter, Künstlerhaus Bethanien, Berlin
In scheinbar widersprüchlicher Weise lebt Europa heute nicht nur durch
die politische und wirtschaftliche Einheit, sondern gerade auch von der
Unterschiedlichkeit der regionalen und nationalen Kulturen.
Im Zuge der europäischen Einigung bedarf es einer Intensivierung des
länderübergreifenden Kunst- und Kulturaustausches, der das
multikulturelle Europa stärkt, ohne die kulturelle Vielfalt in Frage zu
stellen.
Kurt Eichler, Leiter des Kulturbüros der Stadt Dortmund
Die Rede Goethes vom "Weltbürger" gilt heute für uns Europäer eher noch
nachdrücklicher als zu Goethes Zeiten - in dem Sinne, dass wir Europäer
noch stärker als bisher die reichhaltige kulturelle Tradition des
Nordens, Südens, Westens und Ostens Europas im Rücken, uns einsetzen für
ein gemeinsames Erbe, das wir nicht nur verwalten, sondern weitergeben
müssen: Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wie
Schwesterlichkeit; Verpflichtung zur Aufklärung gegen das
Dunkelmännertum.
Prof. Dr. Dieter Baacke, Universität Bielefeld
Interkulturelle Bildung sollte dazu beitragen, dass sich in einem
"Europa der Regionen" mit all seinen Besonderheiten die gegebenen
schöpferischen und kritischen Fähigkeiten der Menschen dergestalt
weiterentwickeln, dass die einzelnen Kulturen nicht bloß in ihrer bunten
Vielfalt und Verschiedenheit nebeneinander akzeptiert werden, sondern
über ihre begrenzten räumlichen und zeitlichen Entstehungsbedingungen
hinweg miteinander in Verbindung treten können.
Priv.-Doz. Dr. Ursula Apitzsch, Hochschullehrerin an der Universität
Bremen
Wenn dieses Europa einen Sinn haben soll, dann den, Akzente zu setzen
für den sozialökologischen Umbau der Industriegesellschaft, für das
Vorleben von zukunftsfähigen Zivilisationsmodellen: Wer, wenn nicht wir,
und wann, wenn nicht jetzt - auf der Grundlage einer Prosperität, die
den Umbau ohne Verzicht auf Lebensqualität denkbar werden lässt?
Univ. Doz. Dr. Dieter Kramer, Museum für Völkerkunde, Frankfurt / M.
Als Kind und Jugendlicher im Nachkriegsdeutschland träumte ich von
Europa, einer Vielfalt von Sprachen, Lebensformen. Heute vereinigt sich
Europa im Spott. Die politische Klasse hat sich in Brüssel ein neues
Altersheim geschaffen. Wer weiß, vielleicht überlebt Europa auch dies.
Prof. Dr. Detlef Hoffmann, Kulturwissenschaftliches Institut Essen
Machen wir Ernst mit der europäischen Einheit und lasst uns über Europa
hinaus den Gedanken der Einheit in die Welt tragen, die uns allen
gehört. Aus dem europäischen Haus muss weitergehend das Haus der
Weltkulturen werden; es ist unsere letzte Chance.
Dr. phil. Urs Patyk, Kunsthistoriker
Kultur muss als eine Grundbedingung unseres gesellschaftlichen Seins
erkannt werden.
Den Weg europäischer Einheit mögen die Künste weisen, die - selbst
grenzenlos - das Zusammenwirken unterschiedlicher Kulturen als Chance
zur Entwicklung eines gemeinsamen Neuen nutzen!
Siegfried Endl, Kunsthistoriker
Das vereinte Europa in Ost und West wird sich vor allem seiner
gemeinsamen europäischen Kultur bewusst sein müssen. Denn ohne die
Rückbesinnung auf die gemeinsamen kulturellen Wurzeln wird einem
ökonomisch und politisch vereinten Europa das tatsächlich Verbindende
fehlen: Ein z. B. auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
gegründeter pluralistischer Humanismus.
Axel Sedlack, Kulturamt der Stadt Unna
Die Hoffnung auf Europa mindert meine Angst vor Deutschland.
Dr. Dorothea Kolland, Kulturamtsleiterin Berlin-Neukölln
Das Europa des 21. Jahrhunderts sollte ein zivilgesellschaftliches
Europa, ein Europa der Bürger und nicht ein Europa des Staates und der
technokratischen Staatsapparate werden. Diesen Weg zu ermöglichen, sind
die regionalen Kulturen, die ökologischen Ressourcen, die sozialen
Kompetenzen und die dezentralen Mitbestimmungs- und
Entscheidungsstrukturen zu stärken resp. zu erhalten.
Prof. Dr. Klaus M. Schmals, Universität Dortmund
In keiner Kunstsparte wird die Annäherung der europäischen Länder so
kritisch und humorvoll befragt wie in der Karikatur. So gesehen, liefern
europäische Karikaturisten den lebhaftesten Appell für die Einheit des
Kontinents.
Dr. Herwig Guratzsch, Direktor des Wilhelm-Busch-Museums Hannover
Das neue Europa ist im Entstehen.
Noch wird der Integrationsprozess von wirtschaftlichen Normen,
finanzpolitischem Kalkül und verwaltungsbürokratischen Regelungen
dominiert. Der näherbringende identitätsstiftende Gedanke einer
kulturellen Vielfalt der Regionen unter einem Dach steckt noch in den
Kinderschuhen und darf nicht verregelt werden. Ebenso sind die
Ungleichzeitigkeiten und Unterschiedlichkeiten im neu zu definierenden
Ost-West-Verhältnis durch die dramatischen Veränderungen in Ost-Europa
noch nicht Bestandteil eines positiven Dialogs zwischen den Staaten und
Menschen.
Hier muss die eminent wichtige Aufgabe der Kultur mit ihrem
Facettenreichtum als Wirksamkeitsfaktor politisch gestärkt werden. Nur
dann sind die großen europäischen Aufgaben human und friedlich zu lösen.
Norbert Reif, Kulturamtsleiter der Stadt Jena
Der polnische Historiker Krzysztof Pomian sagt: "Die Geschichte Europas
ist die Geschichte seiner Grenzen." Europa - der kleinste und
gedrängteste Kontinent der Welt - war stets vom Austausch und von der
Grenzüberschreitung geprägt. Sehr oft ging es dabei kriegerisch zu.
Heute sollten wir dafür sorgen, dass der friedliche, der kulturelle und
gesellschaftliche Austausch obsiegt: in süd-nördlicher Richtung ebenso
wie in ost-westlicher. Die Idee eines gemeinsamen Europa ist alt.
Dennoch ist Europa noch immer eine Idee auf der Suche nach ihrer
Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit wird am ehesten zu finden sein: in
einer europäischen Föderation jenseits der Nationalstaaten.
Thomas Schmid, freier Mitarbeiter des Amtes für Multikulturelle
Angelegenheiten der Stadt Frankfurt / M.
Als Kulturwissenschaftler kann ich mich den - in der Regel euphorischen
- Sonntagsreden der Politiker von der sich verstärkenden kulturellen
Vielfalt Europas nicht ohne kritische Anmerkungen anschließen, denn die
Entwicklung der europäischen Kultur hat heute einen Punkt erreicht, den
wir als das Ende ihrer Autonomie gegenüber der Wirtschaft bezeichnen
können. Trotz verstärkter kultureller Zusammenarbeit bleibt nüchtern
festzustellen: Laut EWG-Vertrag hat die Europäische Gemeinschaft keine
ausdrückliche kulturelle Verantwortung. Diese Festlegung wird
voraussehbar schädliche Folgen für Europas Kultur und Zukunft haben.
Dr. Lutz Schmid, Kulturwissenschaftler, Berlin
Lässt sich aus der getrennten Vergangenheit der beiden deutschen
Staaten eine gemeinsame "Zivilgesellschaft" im neuen Europa gestalten?
Entsteht nach dem Zerfall des Staatensystems von Jalta endlich in der
neuen Baustelle des Europäischen Hauses ein "europäisches Deutschland",
das Thomas Mann am Ende des Zweiten Weltkrieges einklagte? Oder
entwickelt sich in einem von Deutschland geprägten mittel- und
osteuropäischen "Raum" ein neuer Tummelplatz des Nationalismus? Welche
Giftblüten wachsen aus dem Sumpf des dann entstehenden "deutschen
Europa", das Thomas Mann als militanten Spätaufklärer über das "deutsche
Unwesen" schon 1945 veranlasste, nicht nach Deutschland zurückzukehren?
Kritische Fragen zur deutschen und europäischen Zukunft, die bei allen
Belastungen auf das "Prinzip Hoffnung" von Ernst Bloch setzen und
dennoch die Bedrohungen zum Thema machen, die nach dem Zusammenbruch der
DDR und der osteuropäischen Staaten erkennbar werden.
Prof. Dr. Jörg Wollenberg, Direktor des Bildungszentrums der Stadt
Nürnberg
Die Statements aus Wirtschaft, Medien und Politik sowie aus der Region Stormarn und Schleswig-Holstein finden Sie über den jeweiligen Link von meiner Atelier-Seite
![]() ![]() ![]() ![]() |