Cristóbal Halffter Oper Schachnovelle - Informationen von Elke Rehder
Zweite Szene: Dr. Leo Berger wird in Wien auf der Straße von der Gestapo verhaftet. Die beiden Gestapomänner bringen Dr. Berger ins Hotel Metropol, wo er bereits erwartet wird.
Zweite Szene: Dr. Berger im Büro der Gestapo im Hotel Metropol. Der Gestapooffizier gibt sich leutselig und ironisch. Christoph Woo (Erster Gestapomann), Michael Hofmeister (Gestapooffizier), Ks. Jörg Sabrowski (Dr. Leo Berger)
Die Uraufführung fand am 18. Mai 2013 im Kieler Opernhaus statt. Die Oper ist ein Auftragswerk des Theaters Kiel mit freundlicher Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung. Für die Oper in einem Akt schrieb Wolfgang Haendeler das Libretto nach der gleichnamigen Novelle von Stefan Zweig. Die Aufführung ist in deutscher Sprache und mit deutschen Übertiteln.
Vierte Szene: Dr. Berger (Ks. Jörg Sabrowski) konnte ein Buch mit Schachpartien entwenden und fertigt aus weißen und braunen Kandiszuckerstücken ein provisorisches Schachspiel. Das grausame Nichts in seiner Isolationshaft hat ein vorläufiges Ende gefunden.
Dazu passt das folgende Zitat aus der Schachnovelle von Stefan Zweig: "Denn
die Pression, mit der man uns das benötigte "Material" abzwingen wollte, sollte
auf subtilere Weise funktionieren als durch rohe Prügel oder körperliche
Folterung: durch die denkbar raffinierteste Isolierung. Man tat uns nichts, man
stellte uns nur in das vollkommene Nichts, denn bekanntlich erzeugt kein Ding
auf Erden einen solchen Druck auf die menschliche Seele wie das Nichts."
Diese Textstelle spiegelt gleichsam die von Stefan Zweig gefühlsmäßig empfundene
Situation in seinem brasilianischen Exil wieder.
Schachnovelle - die Oper - Ein kulturelles Weltereignis, die Welturaufführung nicht in Paris, nicht in London. Stattdessen: Uraufführung des Gesamtkunstwerkes im Kieler Opernhaus. Das Libretto von Wolfgang Haendeler ist lesenswert vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Christóbal Halffter, einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart, schuf erneut ein Meisterwerk moderner Musik, welches gekonnt vom Generalmusikdirektor Georg Fritzsch und vom Generalintendanten Daniel Karasek umgesetzt wurde.
Musikalische Leitung | Georg Fritzsch |
Regie | Daniel Karasek |
Bühnenbild | Norbert Ziermann |
Kostüme | Claudia Spielmann |
Choreinstudierung | Barbara Kler |
Video | Konrad Kästner |
Dramaturgie | Cordula Engelbert |
Vierte Szene: Dr. Berger (Ks. Jörg Sabrowski) braucht das Buch mit den Meisterpartien und sein improvisiertes Schachspiel nicht mehr vor Augen und spielt nun im Kopf gegen sich selbst.
Dr. Leo Berger | Ks. Jörg Sabrowski |
Der Gestapooffizier | Michael Hofmeister |
Mirko Czentovic, Schachweltmeister | Tomohiro Takada / Marco Vassalli |
Krankenschwester | Ks. Heike Wittlieb |
Erste Dame, eine Passagierin / Schachfigur | Anna Petrova |
Zweite Dame, eine Passagierin / Schachfigur | Susan Gouthro |
Dritte Dame, eine Passagierin / Schachfigur | Juliane Harberg |
Koller, ein Agent / Schachfigur / Zweiter Reporter | Fred Hoffmann |
Erster Gestapomann / Mario Lotto, ein Passagier | Christoph Woo |
Erster Reporter / Ingmar Soderström, ein Passagier | Thomas Scheler |
Scott McConnor, ein Passagier | Michael Müller |
Pfarrer | Mikko Järviluoto |
Graf Simczik / Wärter / Kapitän / Kellner | Andreas Winther |
Zweiter Gestapomann / Josè Burgos, ein Passagier | Ulrich Burdack |
Paul Teller, ein Passagier / Schachfigur | Salomon Zulic del Canto |
Boris, ein Wirt aus dem Dorf / Schachfigur / Dritter Reporter | Marek Wojciechowski |
Erster Kiebitz, ein Passagier | Rahel Brede |
Zweiter Kiebitz, ein Passagier | Bogna Bernagiewicz |
Mirko Czentovic als Kind | Willem Klemmer / Clemens Marcic |
Oper Schachnovelle Foto © Olaf Struck
Vierte Szene: Dr. Berger erleidet durch das Spiel gegen sich selbst eine Schachvergiftung und wird anschließend in ein Krankenhaus transportiert. Szene mit Ks. Jörg Sabrowski (Dr. Leo Berger), Michael Hofmeister (Gestapooffizier)
Oper Schachnovelle Foto © Olaf Struck
Die Dramaturgin Cordula Engelbert hat einen ausgezeichneten Artikel für das
Programmheft geschrieben:
Beschwörung der Geisteskraft
Nicht nur in der Schachnovelle beschwört Cristóbal Halffter die Kraft des
Geistes. Auch in seinen beiden anderen Opern,
Don Quijote und Lazarus, triumphiert der Geist über die Materie:
Don Quijote ist als literarische Erfindung von Cervantes zum unsterblichen
Mythos geworden und die Legende der Auferstehung von Lazarus stellt ebenfalls
den Sieg des Geistes über die Materie dar. Schon 1974/75 beschwor Halffter mit
seiner
Elegie auf den Tod dreier spanischer Dichter die Kraft von Literatur.
"Man kann einen Dichter töten, niemals aber seine Dichtung. Tatsächlich kann
keiner die Stimme eines Dichters zum Schweigen bringen. So lange es jemanden
gibt, der ein Buch von Federico Garcia Lorca aufschlägt, ist dieser präsent,
lebendig und allgegenwärtig", erläutert der Komponist. Das gilt ebenso für
Musik, aus ihr spricht die Stimme des Komponisten. Cristóbal Halffters Stimme
erinnert, mahnt, erneuert und bekennt: sie erinnert an die Vergangenheit, mahnt
vor dem Vergessen, erneuert Formen und bekennt sich zu der moralischen Kraft von
Kunst.
In der Schachnovelle geht es um die "Kunst des Schachspiels". Wie jede
Kunst, kann auch sie missbraucht werden. Ein Czentovic spielt materialistisch im
doppelten Sinne des Wortes. Er spielt für Geld und er braucht Verkörperungen des
Spiels, ohne Brett und Figuren verliert er seine Spielfähigkeit. Das genaue
Gegenteil stellt Dr. Berger dar, ein "idealistischer" Schachspieler im doppelten
Sinne des Wortes. Er spielt nicht um Geld, dafür aber um sein Leben - genauer
gesagt, um seine geistige Widerstandskraft. Und er spielt ohne Gegenüber, ohne
Brett und Figuren, allein in seiner Fantasie. Mit Hilfe des Spiels leistet er
geistigen Widerstand, und als er durch dieses Spiel wahnsinnig wird, rettet der
Wahnsinn ihn aus den Fängen der Nationalsozialisten.
Cristóbal Halffter und sein Librettist Wolfgang Haendeler geben dem Ende der
Oper eine hoffnungsvolle Wendung. In Zweigs Novelle bricht Dr. Bergers Wahn
während der Partie gegen Czentovic wieder aus, er sieht auf dem Schachbrett
etwas, was nicht da ist, weil die Partie in seiner Fantasie anders verlaufen
ist. Er bricht das Spiel ab und will nie wieder Schach spielen. Alles Weitere
bleibt offen. Das letzte Wort gehört Czentovic: "Für einen Dilettanten ist
dieser Herr eigentlich ungewöhnlich begabt."
In der Oper verliert Dr. Berger die Partie, weil er seine Zeit überschritten
hat. Ohne diese äußerliche Festlegung hätte er die Partie gewonnen. Viel
wichtiger ist aber, dass er hier gleichzeitig eine Zukunftsperspektive gewinnt:
er will zurück nach Wien und beim Aufbau einer neuen Welt mitwirken. Czentovics
Satz beendet hier die vorletzte Szene. In der neu entwickelten Schlussszene der
Oper kehrt Berger in das Hotelzimmer zurück, das früher seine Zelle war. Jetzt
ist er ein "normaler" Hotelgast und sieht mit Freude viele Bücher in dem Regal
stehen, das damals leergeräumt war. Die Literatur und ein Kellner, der im
Gegensatz zu seinem früheren Wärter die Tür leise schließt, beweisen ihm die
Rückkehr des Geistes nach Wien. Und zu welchem Buch greift Berger? Zu Stefan
Zweigs "Schachnovelle"! So schließt sich denn der Kreis, da ja "so lange es
jemanden gibt, der ein Buch von Stefan Zweig aufschlägt, dieser präsent,
lebendig und allgegenwärtig" ist. Und wenn der Jemand Cristóbal Halffter heißt,
wird sogar eine Oper daraus!
© Cordula Engelbert, Quelle: Theater Kiel, Programmheft Spielzeit 2012 / 2013
Oper Schachnovelle Foto © Olaf Struck
Siebte Szene: Anna Petrova (Erste Dame), Tomohiro Takada (Mirko Czentovic), Juliane Harberg (Dritte Dame), Michael Müller (Scott McConner), Thomas Scheler (Erster Reporter), Ks. Jörg Sabrowski (Dr. Leo Berger) im Rauchsalon auf dem Dampfer von New York nach Buenos Aires. Dr. Berger kämpft im Schachspiel zum ersten Mal gegen einen Menschen, den Schachweltmeister Czentovic.
Oper Schachnovelle Foto © Olaf Struck
Siebte Szene: Tomohiro Takada (Mirko Czentovic), Ks. Jörg Sabrowski (Dr. Leo Berger), Michael Müller (Scott McConner). Czentovic (gönnerhaft): Für einen Dilettanten war dieser Mensch ungewöhnlich begabt.
Christóbal Halffter, 1930 in Madrid geboren, behandelt in seiner Musik oft Themen wie Unterdrückung und Gewalt. Im Auftrag der Vereinten Nationen schrieb er 1968 die Kantate "Yes, speak out, Yes" zum 20. Jahrestag der Verkündung der Menschenrechte. Im Jahre 1995 schrieb er für die Dresdner Philharmonie im Gedenken an die Opfer des Bombenangriffs das "Memento a Dresden". Halffter ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Paris und trägt den Ehrendoktortitel der Universitäten León und Madrid. 1976 dirigierte Halffter zum ersten Mal in Kiel und 2006 kam hier seine Oper Don Quijote zur deutschen Erstaufführung. Weil diese Produktion ganz in seinem Sinne war, fand 2008 zum 100. Geburtstag des Kieler Opernhauses die Uraufführung seines Lazarus statt.
Halffters aktuelle Oper Schachnovelle ist eine Hommage an Stefan Zweig. Und die Ehrung des grandiosen Schriftstellers ist ihm mit dieser Oper gelungen. Halffter hat sein Bestes gegeben und die Welt der Musik ist um Einiges reicher geworden.
Der Librettist Wolfgang Haendeler, geboren 1968, studierte in Erlangen Germanistik, Theaterwissenschaft und Philosophie, war bis 2008 Chefdramaturg in Kiel und ist seit 2011 leitender Dramaturg des Musiktheaters in der österreichischen Stadt Linz.
Die theaterZeit ist eine Beilage der Kieler Nachrichten und in der
Ausgabe Mai 2013 ist "Man muss mit eigenen Waffen kämpfen" ein Gespräch mit
Cristóbal Halffter über seine neue Oper, über verschiedene Arten des
Schachspiels, über geistigen Widerstand und über Musik in Spanien zu lesen. Es
handelt sich dabei um den Auszug eines Gesprächs, das Wolfgang Schaufler für die
Universal Edition führte.
In dieser Ausgabe wird auch die Frage gestellt: "Schachfieber - gibt es das?".
Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Robert Göder im Gespräch mit der
Dramaturgin Cordula Engelbert.
Neben drei weiteren Holzschnitten wird in dieser Ausgabe erstmalig der
Holzschnitt "Schachnovelle 2013" der Stormarner Künstlerin Elke Rehder
veröffentlicht, ein Holzschnitt zur Erinnerung an den Tod Stefan Zweigs im Exil
am 23. Februar 1942.
Diese Informationen zur Uraufführung gibt es auch als PDF-Datei in folgenden Sprachen: Oper-Englisch Oper-Französisch Oper-Spanisch
Schachnovelle - Video der Universal Edition Villafranca 2011
Bitte sehen Sie das interessante Video mit dem Komponisten Cristóbal
Halffter. Das Interview zur Oper Schachnovelle ist in deutscher Sprache auf
YouTube
hier zu sehen:
https://www.youtube.com/watch?v=AqBJutxoY14
Schachnovelle 2013 in Gedenken an Stefan Zweig und gegen Isolierung.
Textstelle - Zitat aus der Schachnovelle: "Denn die Pression, mit der man uns
das benötigte ›Material‹ abzwingen wollte, sollte auf subtilere Weise
funktionieren als durch rohe Prügel oder körperliche Folterung: durch die
denkbar raffinierteste Isolierung."
Dieser nummerierte und signierte Holzschnitt wird zur Zeit exklusiv von der Büchergilde Gutenberg in Frankfurt angeboten Link zum Büchergilde-Angebot
Holzschnitt und Prägedruck zum Thema Isolationshaft. Unikat von Elke
Rehder
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